Rosa Tännler – die Naturschönheit

Rosa Tännler begegnet dem Künstler und Medailleur Fritz Ulysse Landry im Jahr 1894 unverhofft auf der Steinalp. Er ist von ihrer Schönheit betört und gestaltet das Konterfei für die Goldmünze nach ihr.

Rosa, die Naturschönheit

Imposant thronen die Wendenstöcke hoch über dem Gadmental. Handelsleute sind zu jener Zeit auf der Route über den Sustenpass unterwegs. Dank eines Ausbaus ist der Säumerweg ab 1870 mit leichten Wagen bis ins Urner Meiental befahrbar. Mit Käse, Vieh und Pferden ziehen die Menschen Richtung Süden und Italien – mit Polenta, Reis, Öl, Gewürzen und Wein kommen sie zurück ins Berner Oberland.

Künstler wiederum suchen auf ihren Reisen nach Inspiration und lassen sich von der einmaligen Naturlandschaft beflügeln. So überquert im Sommer 1894 auch der Neuenburger Maler und Medailleur Fritz Ulysse Landry (1842-1927) den Sustenpass und legt auf der Steinalp einen Halt ein. Früher mussten sich Gäste hier mit einem Schlaflager in der Sennhütte begnügen, doch seit Mitte des 19. Jahrhunderts existiert das kleine Berghaus «Zum Stein» mit einer Handvoll Betten. Die junge Rosa Tännler bewirtet und umsorgt die Reisenden.

So idyllisch die Berge und felsigen Hänge bei Sonnenschein auch wirken, die Situation kann schnell kippen – mit Lawinen im Winter und Erdrutschen im Sommer. Damals sind Rodungen und der Verkauf von Brennholz dafür verantwortlich, dass der Schutzwald fehlt. Die Einheimischen haben sich mit dieser rauen Seiten der Natur arrangiert, auch wenn in der Vergangenheit immer mal wieder Menschen jäh aus ihrem Leben gerissen worden sind (22 Tote im Jahr 1808) oder wegen einer Lawine mitsamt ihrer Betten aus dem Haus katapultiert worden sind (1889).

Maler Landry ist von dieser einzigartigen Welt im Gadmental fasziniert und besucht sie deshalb immer wieder. So soll die Zeitung «Oberhasler» einst berichtet haben, er komme öfter «auf den Stein» in die Ferien. Im Sommer 1894 trifft er erstmals auf Gastgeberin Rosa – und ist von ihrer Anmut und ihrem Liebreiz betört, wie so viele Männer. Die 14-Jährige gilt als eine der schönsten Frauen im Haslital. Jahre später wird sie ihren Töchtern von der schicksalshaften Begegnung mit Landry erzählen: «Zwei Männer kamen über den Susten und kehrten auf der Steinalp ein. Nach einer Weile sagte der eine zum andern: Eh bien, dessine-la…» Nun dann, zeichne sie. Und genau das tut der Maler.

Rosa verkörperte mit ihrer Art, ihrer Reife und Entschlossenheit schon damals eine perfekte Helvetia – trotz ihrer Jugendlichkeit. Kein Wunder also, nutzt Fritz Ulysse Landry ihr Konterfei für den Entwurf einer neuen Münze. Der Bundesrat schreibt 1895 nämlich einen Wettbewerb aus, um das bestehende Goldstück mit Frauenkopf abzulösen; er empfindet die Darstellung als zu banal. Das Bildnis einer neuen Landesmutter soll in Umlauf kommen.

Die Jury entscheidet sich zwar für Landry, tut sich allerdings schwer mit seiner Arbeit: Die Frau sei zu jung, ihr offenes Haar wirke anstössig, die Berner Tracht passe nicht für die ganze Schweiz. Er hingegen schwärmt von der «fille de l’Alpe», vom Gletscherwind, der ihr Gesicht umschmeichelt und ihre Locken umspielt – damals reicht der Steingletscher tatsächlich noch fast bis zum Gasthaus hinunter. Der Künstler muss den Entwurf mehrfach überarbeiten und nachbessern: Das Haar wird zu einem Zopf geflochten, was dem Gesicht mehr Reife verleiht. Und das Kleid erhält neu einen Blumenkranz aus Edelweiss.

Von Fritz Ulysse Landry gibt es keine Fotografie, seine Werke sind kaum bekannt – abgesehen vom Goldvreneli. Er stammt aus Le Locle und macht eine Gravurlehre im Atelier seines Vaters. Später bildet er sich in Paris und auf Reisen durch Italien weiter, gründet 1869 in Neuenburg eine Berufsschule fürs Zeichnen. Der Künstler erschafft zahlreiche Medaillen und Medaillons, sowie kleinere Bronzefiguren. Ab 1903 verfällt er immer mehr in Depressionen, gibt das Unterrichten auf und widmet sich ausschliesslich der Kunst. Er stirbt im Januar 1927.

Wenn meine Mutter gefragt worden ist, ob sie das Vreneli auf dem Goldstückli sei, hat sie nur geantwortet: Aes chenti siin.
— Rosas Sohn Gustav Kruck im «Oberhasler», 1976