Rosa Tännler – die Wirtstochter

Rosa kommt am 8. September 1879 zur Welt. Ihre Eltern – Johann und Rosina Tännler – führen das Gasthaus Bären, haben Einfluss im Dorf. Das Mädchen wächst hier zu einer starken Persönlichkeit heran.

Rosa, die Wirtstochter

Niemand hat das Kind an diesem Tag erwartet. Johann und Rosina Tännler-von Weissenfluh wintern gerade die Sennhütte ein und ihr kleines Gasthaus auf der Steinalp, als unverhofft die Wehen einsetzen. Da die Knechte und Mägde bereits im Tal unten sind, eilt der Patron selber davon, um die Hebamme zu holen. Doch als die beiden endlich zurückkehren, hält Rosina ihre frisch geborene Tochter bereits im Arm. So fulminant erblickt Rosa Tännler am 8. September 1879 das Licht der Welt.

Familie Tännler ist eine angesehene Familie, sie bewirtschaftet nebst der Steinalp damals auch den «Bären» in Gadmen. Hier legen Reisende gerne einen Halt ein, Einheimische treffen sich, klopfen einen Jass, tratschen und festen. So mancher hat Schulden beim Wirt, wegen Trunksucht oder aus einer ökonomischen Not heraus – er ist eine Institution, Freund und Feind zugleich, leiht Geld aus und funktionierte wie eine Art Bank.

Johann Tännler (1849-1928) stammt aus Innertkirchen, ist ursprünglich Büchsenmacher und kommt erst durch die Heirat mit Rosina (1855-1918) nach Gadmen, wo er auch eine Sägerei und einen landwirtschaftlichen Betrieb unterhält. Rosa wächst mit einer Schwester und drei Brüdern auf, besucht die Dorfschule und erhält in allen Fächern fast immer die Bestnote. Einzig der Fleiss lässt hier und da etwas zu wünschen übrig, einige unentschuldigte Absenzen kommen dazu – im Zeugnis wird alles genau vermerkt.

Ab Oktober 1892 verbringt das Mädchen ein paar Monate in Fleurier im Kanton Neuenburg, wo sie den Unterricht auf Französisch bewältigen muss. Fremdsprachen sind wegen des aufkommenden Tourismus wichtig, und Tännlers können sich diese Ausbildung mit Extra-Auslagen leisten – selbst für eine Tochter. Während dieser Zeit wohnt Rosa bei einem Freund ihres Vaters, einem gewissen Fritz von Almen. Dann verliert sich ihre Spur in der Romandie; es gibt Hinweise auf einen Aufenthalt in einem Internat, der sich jedoch nicht erhärten lässt. Für das neunte Schuljahr kehrt der Teenager 1894 auf alle Fälle nach Gadmen und zu ihrer Familie zurück.

Wie zu jener Zeit üblich, helfen auch die Tännler-Kinder in den beiden Gasthäusern wie auch auf den Alp mit. Vater Tännler ist ein nimmermüder Arbeiter, nutzt Hände und Kopf, führt all die verschiedenen Unternehmen parallel. In jungen Jahren zog er gerne zu Fuss über die Pässe nach Italien und betrieb dort regen Handel mit Schafen. Als Familienvater gibt er seinen Kindern mit auf den Weg, sich stets der Wahrheit und Redlichkeit zu verpflichten – so steht es in seinem Nachruf, der in der «Berner Woche» im Juli 1928 erschienen ist.

Nach der obligatorischen Schulzeit erlernt Rosa das Weissnähen. Bei diesem Handwerk stellen die Frauen verschiedenste Artikel aus weissem Stoff her, wie Tischtücher, Bettwäsche oder Beinkleider. Auch das Verzieren mit Stickereien gehört dazu. Anschliessend arbeitet die junge Frau im Hotel Engstlenalp, erfährt dabei alles über das Kochen und Versorgen von Gästen. Mit diesem Wissen ist sie besten gewappnet, um die Verantwortung für den Gasthof auf der Steinalp zu übernehmen. Rosa kümmert sich mit Hingabe um den Zufluchtsort mit einem Dutzend Betten, den vor allem Reisende aufsuchen, die über den Sustenpass ziehen.

Frau Pfarrer Nil unterrichtet die Mädchen in Gadmen ab November 1832 kostenlos und ohne Besoldung. Im Winter den ganzen Montag und Donnerstag, im Sommer «an trüben Tagen».
— Erst ab 1874 gilt in der Schweiz die allgemeine Schulpflicht für alle Kinder.