Rosa Tännler – die Familienfrau

Rosa Tännler heiratet 1901 den Architekten Gustav Kruck, zieht mit ihm nach Zürich und wird Mutter von fünf Kindern. Gesellschaftlich steigt sie auf, umsorgt aktiv und empathisch ihre Familie – leidet aber unter Heimweh.

Rosa, die Familienfrau

Immer mehr Städter verbringen ihre Freizeit in der Natur und erkunden die Schweiz. So auch Gustav Johann Kruck (1875-1934), ein Architekt aus Zürich. Nach einer Bergtour begegnet er Rosa Tännler auf der Steinalp – er habe sie dort «zu Gesicht bekommen», notiert ihr jüngster Sohn Gustav E. Kruck Jahrzehnte später. Am 4. Mai 1901 heiraten die beiden, und so zieht die Gadmerin mit 21 Jahren frisch vermählt in das ferne Zürich.

Von den Bergen in die Stadt. Von der ruhigen Natur in eine pulsierendes Zentrum. Über 150'000 Menschen leben damals bereits in Zürich, in Gadmen sind es gerade mal 672. Das neue Leben muss für Rosa Kruck-Tännler einer Art Kulturschock und Frohlockung zugleich sein. Ihr öffnen sich plötzlich ungeahnte Möglichkeiten, gesellschaftlich steigt sie dank der Heirat auf.

Rosa und Gustav werden in den folgenden Jahren Eltern von zwei Söhnen und drei Töchtern. Sie umsorgt die Familie liebevoll, er steigt in die Politik ein, wird Stadtrat in Zürich und knüpft dadurch viele neue Beziehungen und Bekanntschaften. Die Krucks gewinnen an Ansehen und Einfluss. Über all die Jahre bleibt Rosas Verbundenheit und die Liebe zu ihrer Heimat bestehen – ebenso ihr Haslitaler Dialekt. Um ihr Heimweh zu stillen, reist sie immer mal wieder nach Gadmen, besucht ihre Eltern und verschafft den Kindern ein paar unbekümmerte Tage in den Bergen.

Daheim in Zürich mag sie die gesellschaftlichen Nachmittage der Kunstgesellschaft, schwärmt von den Blumen in ihrem Garten – und lässt sich bei weitem nicht alles von jedem gefallen. So erzählt Rosa in einem Brief eine lustige Episode mit ihrem Zahnarzt, der ihr wegen anhaltender Schmerzen ein paar Zähne ziehen will. Das ist zwar in Ordnung. Die Spritze hingegen, die er ihr dazu verordnet, lehnt sie strikt ab. Die Frau pocht darauf, nach und nach, Zahn um Zahn zu ziehen, dafür ohne Spritze. «Etappenweise vorzugehen, dient zwar nicht dem Wohlgefallen des Zahnarztes, aber meinem Besserbefinden», kommentiert sie sein Einlenken.

Ihr jüngster Sohn Gustav wandert in den 1930er-Jahren als Ingenieur nach Argentinien aus und führte einen regen Briefwechsel mit Rosa. Diese Schreiben und Erzählungen aus dem Alltag zeichnen ein sehr einfühlsames Bild: Sie kümmert sich stets um die ganze Familie, macht Krankenbesuche, hütet Enkelkinder und organisiert Feste. In mehreren Schreiben ist die Hochzeit ihrer Tochter Elisabeth mit Geologe Armin von Moos ein Thema, Rosa erzählt von den Vorbereitungen und dem Fest selber: «Das Essen kam von Bahnhofbuffet – eine grosse Erleichterung für mich.» Vergebens wartet die Gesellschaft schliesslich auf eine Rede des Bräutigamvaters, worauf Elisabeths Bruder Hans diese Aufgabe übernimmt; scheinbar kein begnadeter Redner: «Was er sagen wollte, war gut. Nur fehlten ihm die Worte – wie damals dem Pfarrer in Gadmen.»

Postkarten und Briefe zeugen davon, dass Rosa gerne reist, durch die Schweiz, aber auch in Frankreich, Italien und Deutschland. Sie erzählt von ihren eigenen Gebrechen und Kuren, kümmert sich um Bankangelegenheiten und organisiert für Gustav verschiedenste Artikel des täglichen Bedarfs, die sie dann nach Argentinien verfrachtet – vor allem Hirse. Und das kommt so: «Eine Bekannte hatte wegen Hautreizungen lange Zeit zum Frühstück Hirse gegessen. Nun hat sich zu ihrer Überraschung ihr schütteres Haupthaar zur vollen Pracht entfaltet … Hiermit sei es dir empfohlen.»

In all den Erzählungen und Briefen zeigt sich Rosa Kruck-Tännler als eine sehr aktive, starke und empathische Frau. Sie muss ihren Sohn Gustav enorm vermisst haben. Und sie ist untröstlich, als ihr Mann Gustav 1934 stirbt.

Ich sitze nach verklingen des Samstagabend-Glockengeläuts auf meiner geräumigen Veranda, gücklich an dem prächtigen Sommerabend draussen sein zu können, rings von Bäumen und bühenden Sträuchern umgeben. Doch auch wieder mit einem teils bestimmten, teils unbestimmten Heimweh.
— Rosa Kruck-Tännler in einem Brief an ihren Sohn Gustav im Juni 1937.